Warum 60 nicht das „Neue 40“ ist

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Warum glauben plötzlich alle, dass man sich im Alter jünger fühlt als man wirklich sind? Welche Ursachen sind dafür verantwortlich? Wie kann man diesen Widerspruch auflösen? Gibt es Strategien, um sein Alter gut zu finden und mit dem älter werden souveräner umgehen zu können. Und wenn ja, welche?

Kürzlich feierte ein Freund seinen 60-sten Geburtstag und bekam ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Sechzig ist das Neue Vierzig“ geschenkt. Nur kurz danach begegnete mir ein Buch mit dem gleichnamigen Titel. In verschiedenen Magazinen sieht man plötzlich zahlreiche Artikel mit Titeln wie: „50 ist das neue 40“, „60 ist das neue 50“ oder „Alt ist das neue Jung“. Ich frage mich, was ist da nur los? Glauben die Leute wirklich, dass sie jünger sind als ihr chronologisches Alter? Und wenn ja, was ist der Grund dafür?

Anlass genug also einmal zu überdenken, ob 60 wirklich das „Neue 40“ ist. Was dafür, und was dagegen spricht. Und nach den Gründen zu suchen, warum man sich mit steigendem Alter jünger fühlt oder jünger sein möchte. Oder ob 60 nicht einfach das „Neue 60“ sein sollte. [1]

„60 ist das neue 40“:  Was zunächst dagegen spricht.

  1. Zunächst die einfachen Fakten und Zahlen. Wer vor 60 Jahren geboren wurde, hat 60 mal seinen Geburtstag gefeiert und ist chronologisch 60 Jahre alt. 
  2. Dann der Berufs- bzw. Lebensweg. Wer 60 Jahre alt ist, hat viele Jahre Erwerbstätigkeit hinter sich, hat vielleicht Kinder aufgezogen. Hat eventuell auch eine erfolgreiche Karriere hinter sich. Anders als 40 jährige, die Beförderungen in höhere Positionen oder weitere Jahre berufliche Tätigkeit in der Regel noch vor sich haben.
  3. Mit 60 Jahren hat man eventuell bereits Enkel. Mit 40 Jahren dagegen sind Kinder in der Regel noch im Schulalter. Man fährt mit ihnen gemeinsam in den Urlaub und verbringt die Wochenenden mit den Kindern.
  4. Die Biologie: Mit zunehmendem Alter verändert sich der menschliche Körper. Einige dieser Veränderungen sind altersbedingt und unvermeidlich, während andere durch Lebensstil und Umweltfaktoren beeinflusst werden.
    • Der Körper verliert an Muskelmasse, die Knochen werden brüchiger. Die Haut wird dünner und verliert an Elastizität. Das Immunsystem wird schwächer, was das Risiko von Infektionen und Krebs erhöht. Die Seh- und Hörfähigkeit kann abnehmen. Auch der Geruchssinn und der Geschmack können beeinträchtigt werden. Das Herz-Kreislauf-System wird schwächer. Es kann zu einer Abnahme der Herzfunktion   und zu einem Anstieg des Blutdrucks kommen. Auch das Risiko von Herz-Kreislauf- Erkrankungen steigt.
    • Und zum Schluss: Auch das Gehirn eines 60-jährigen unterscheidet sich von dem eines 40-jährigen. Eine der wichtigsten Veränderungen im Alter ist die Abnahme der Gehirnmasse. Ein weiterer Aspekt ist die Verringerung der Durchblutung im Gehirn. Zudem nimmt die Plastizität ab, die Fähigkeit des Gehirns, sich an neue Situationen anzupassen und neue Informationen zu verarbeiten.

„60 ist das neue 40“: Was dafür sprechen könnte.

  1. Es gibt immer mehr Ältere die das Gefühl haben jünger zu sein. Studien zufolge fühlen sich in den USA, Westeuropa und Australien heutzutage fast alle Menschen über 60 Jahre im Schnitt 11 bis 21 jünger als sie es chronologisch sind. Und das, obwohl viele Menschen viel länger relativ gesund alt werden.
  2. Neben dem chronologischen Alter gibt es auch andere Definitionen von Alter, darunter das biologische Alter. Das biologische Alter ist ein Maß für die körperliche und geistige Verfassung eines Menschen, das sich von dem chronologischen Alter unterscheiden kann. 
  3. Es gibt Studien darüber, dass chronologisch 60-jährigen ein jüngeres biologisches Alter haben können. Anhand von Biomarkern erhalten Mediziner Rückschlüsse darauf, wie aktiv ein Mensch noch ist, wie fit er kognitiv ist und wie lange er mit diesen Werten vermutlich noch leben kann. Und dann kann ein 60jähriger biologisch tatsächlich das Alter eines 40jährigen haben, was aber nicht die Regel ist. Ein prominentes Beispiel für unglaubliche Fitness im Alter ist Mick Jagger, der mit 80 Jahren immer noch der beste Frontman der Rockmusik ist und dem man auf der Bühne sein Alter nicht anmerkt. Viele weitere Beispiele ließen sich hier anbringen. 
  4. Die Lebenserwartung der Menschen hat sich in den letzten 60 Jahren deutlich erhöht, weltweit um fast 25 Jahre. Und erhöht sich ständig weiter. Viele 60-jährige von heute sind kognitiv und körperlich fitter als ihre Eltern. Viele haben zudem einen anderen Lebensstil als ihre Eltern, leben gesünder und achtsamer. Haben andere Werte, kleiden sich anders. Machen mehr Sport. Hören Musik und sind aufgeschlossener. Sind in sozialen Medien unterwegs. Gehen auf Konzerte, arbeiten ganz anders als noch ihre Eltern.
  5. Es gibt viele Beispiele von Menschen, die im Alter kognitive Höchstleistungen vollbringen, wie z.B. erfolgreich ein neues Unternehmen gründen oder ein Buch schreiben. Dies zeigt, dass das alternde Gehirn noch immer fähig ist, neue Fähigkeiten zu erlernen und bestehende Fähigkeiten zu verbessern.

Zwischenfazit: Einerseits lässt sich am genetisch bedingten Alterungsprozess unseres Körpers und unseres Gehirns ebenso wenig etwas ändern wie an unserem steigenden chronologischen Alter. Mit 60 im Personalausweis stehenden Jahren befindet man sich nun einmal in einer anderen Lebensphase als 40-jährige. Andererseits haben gesunde Ernährung, medizinsicher Fortschritt und andere Errungenschaften der modernen Welt dazu geführt, dass viele Menschen heute älter werden als ihre Vorfahren und einen ganz anderen Lebensstil führen, der nicht vergleichbar ist mit den 60-jährigen aus dem 20sten Jahrhundert. Eher mit denen der 40-jährigen aus dem letzten Jahrhundert.

Warum wir uns im Alter jünger fühlen (wollen)

1. Überholte Klischees

Die gängigen Klischees vom Alter sind in unserer Gesellschaft und in den Medien überwiegend negativ besetzt. Mit dem Wort „alt“ verbindet man Begriffe wie vergesslich, langsam, unproduktiv, senil, einsam, altmodisch, stur, dement, konservativ, unbeweglich, krank oder nicht digital. Mit dem Eintritt in die Rente wird man „zum alten Eisen“ abgestempelt. Und mit dem Wort „Ruhestand“ verbindet man Inaktivität, Ruhe oder Stillstand. Heutige Altersbilder sind zudem verbunden mit vielen Verzichtsbildern – vieles soll jetzt nicht mehr möglich sein. Mit steigendem Alter wird zudem verstärkt vom Ende her gedacht – man denkt eher daran wie viele Jahre man „noch“ zu leben hat. Und eben dieses Wort „noch“ taucht immer öfter im Sprachgebrauch auf. „Ich kann das noch“. Im höheren Alter wird man zudem von Institutionen eingeschränkt. Man erhält – anders als jüngere Menschen – keine Kredite mehr Banken, bei Jobangeboten werden Jüngere vorgezogen. Und in Dating Portalen muss man sich jünger machen, um überhaupt eine Chance zu haben. 

Kein Wunder also, dass älter zu werden als sehr unattraktiv erscheint, wenn man mit diesen Altersbildern aufwächst. Dabei haben viele dieser Klischees nichts mit der Wirklichkeit zu tun und sind zum großen Teil empirisch widerlegt. Ältere Menschen sind nicht einsamer als andere Menschen. Über 80% der über 60-jährigen kommen mit dem Internet gut zurecht. Viele sind auch im Alter produktiv, arbeiten entweder freiwillig oder aus ökonomischen Gründen. Vergesslichkeit wird erst im sehr hohen Alter zum Problem, das Gehirn verändert sich auch im Alter. Dazu kommen steigende Lebenszufriedenheit, steigendes Wohlbefinden sowie ein hohes Maß an Autonomie und Freiheit. Sehr viele gute Nachrichten also, die sich aber in der Öffentlichkeit so nicht widerspiegeln.  

2. Ageism

Nicht unschuldig an der Tendenz, sich jünger machen zu wollen ist das Thema Ageism, das eng verknüpft ist mit Altersstereotypen und Altersbildern. Ageism kann man verstehen als einen Prozess des systematischen Stereotypisierung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters. Er kann auf mehreren Ebenen stattfinden. Auf institutioneller, zwischenmenschlicher und persönlicher Ebene.

Altersdiskriminierung kann sich im zwischenmenschlichen Bereich darin äußern, dass man eine Person aufgrund ihres Alters abwertet, ihre Fähigkeiten diskreditiert oder sie bevormundet oder respektlos behandelt. Auf der persönlichen Ebene ist es der Glaube, dass man etwas aufgrund des eigenen Alters nicht tun sollte oder könnte. Dies kann dem individuellen Selbstwertgefühl schaden und Ängste vor dem Älterwerden verstärken.

Auch wegen des Ageism kann es sich also lohnen, jünger sein zu wollen als man tatsächlich ist.

3. Selbstschutzeffekt

Hat man die Vorurteile und negative Klischees gegenüber dem älter werden ein Leben lang erlebt, steht man dem Alter grundsätzlich negativ gegenüber.  Kommt man irgendwann selbst in das Alter mit all seinen negativen Bildern, zum Beispiel durch seinen 60-sten Geburtstag, dann beginnt man sich verstärkt verbal von Gleichaltrigen zu distanzieren und sich nicht so alt zu fühlen wie die anderen, sondern jünger. Die Distanzierung vom eigenen chronologischen Alter und von der eigenen Altersgruppe ist dann ein reiner Selbstschutzeffekt. Man möchte nicht dazu gehören. Sich jünger zu fühlen, kommt daher psychologisch dem eigenen Wohlbefinden zugute. Als 40-jähriger anstatt als 60-jähriger durchzugehen, tut sehr gut. Auch wenn es nur auf dem T-Shirt steht.

4. Wertende Vergleiche

Ein anderes Phänomen sind wertende Vergleiche. Wertende Vergleiche machen grundsätzlich unglücklich. Erhält man zum Beispiel ein gutes Gehalt und einen hohen Bonus, dann ist man glücklich. Erfährt man, dass der Kollege auf der gleichen Gehaltsstufe einen höheren Bonus erhalten hat, macht das unglücklich. Man macht also seine Selbstzufriedenheit von Vergleichen zu anderen abhängig. Nicht viel anders verhält es sich mit dem Alter. Merkt man bei seiner Altersangabe, dass andere jünger sind und noch mehr vom Leben haben werden, von der Gesellschaft ganz anders respektiert werden und gefühlt einfach besser dran sind, dann beginne man sein eigenes Alter zu leugnen oder zu verdrängen. Alt sind nur die anderen. Man selbst ist anders.      

5. Internalisierung

Ein weiterer Grund sich jünger fühlen zu wollen ist das Thema Internalisierung. Internalisierung ist ein Prozess, bei dem Menschen gesellschaftliche Werte, Normen und Rollen verinnerlichen und zu einem Teil ihrer eigenen Identität machen. Wer sein ganzes Leben lang mit negativem Altersstereotypen aufgewachsen ist, der wird diese negativen Bilder später nicht so einfach los, wenn er selbst in das Alter kommt. Wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung denkt man im Alter genauso über sich selbst, wie man als junger Mensch von Alten dachte. Und es ist sehr schwer, diese Bilder loszuwerden. Eine Methode sich dagegen zu wehren sind bewusste Selbsterfahrungen, die diesen Altersbildern widersprechen. Dazu gehört auch, sich bewusst jünger zu fühlen als man eigentlich ist.

Was ist zu tun? Strategien und Ideen, sein Alter gut zu finden.

Leider fehlen aktuell jegliche Angebote unserer Gesellschaft, mit dem Alter und dem Ruhestand angemessen umzugehen.  Wir werden auf alles vorbereitet – nur nicht auf das Alter. Älter werden lernen wir nicht. Es fehlen Rollenbilder, es gibt keine attraktiven Modelle, keine altersgerechten Angebote und keine Vorbilder, die uns anziehen. Es gibt jede Menge Literatur über die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, über die Midlifecrisis und das sehr Alt-Sein. Aber das Alter zwischen 50 und siebzig scheint man dabei vergessen zu haben. Daher müssen wir als Gesellschaft daran arbeiten, das Bild vom Alter neu zu denken. Wir müssen früher darüber reden, zum Beispiel in der Schule.  Wir müssen das Bild vom Alter positiver gestalten. Medien sollten mehr gute Nachrichten über das Altern bringen. Das allerdings ist eine Lebensaufgabe und wird nicht kurzfristig zu erreichen sein.

Was aber wären die guten Nachrichten? Der Ruhestand gilt für viele als der Beginn einer der schönsten Lebensphasen, die noch weitere 20 – 30 Jahre andauern kann. Man genießt endlich Autonomie, Verpflichtungen fallen weg. Man kann sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten. Man ist ungebunden und kann seine Freiheit genießen. Und bei gutem Lebensstil ist man noch relativ lange gesund und beweglich. Der Anteil des gesunden Lebens an der Gesamtlebensdauer wächst immer weiter. Aber: Ohne Planung dieser Zeit geht es nicht. Es geht darum, die neuen Freiheiten entsprechend zu gestalten. Neues zu entdecken. Den Sinn des zukünftigen Lebens zu finden, um das Leben genießen zu können. Jeder auf seine Art. Und ohne Erfolgsdruck. Mit altersgerechter Bewegung und Ernährung, mit seinen individuellen Interessen, seinen Freunden, Bekannten und seiner Familie. Und es geht darum herauszufinden, welche Aufgaben man übernehmen möchte, wenn man das Gefühl benötigt, weiterhin gebraucht zu werden. Freiwillig oder aus ökonomischen Gründen.

Letztlich erfahren die meisten 60-jährigen das Alter positiver, als sie es sich vorgestellt haben und wie befürchtet haben. Ein Leben lang haben sie eher Negatives über das Alter gehört und es wurde wenig oder gar nicht darüber gesprochen. Sie wurden nicht vorbereitet. Wenn also die Klischees und Stereotypen über das älter werden überwunden werden können, dann muss 60 nicht mehr das neue 40 sein. Dann kann und wird 60 sein wie 60 heute normal ist. Dann wird das Erleben des älter werden genauso sein, wie man es erwartet hat. Jung, vital, hohe Lebenszufriedenheit, hohes Wohlbefinden, autonom, selbständig und noch sehr aktiv am Leben teilhabend.

Um bereits jetzt einen ersten Anlauf zu unternehmen, positiv ehrlich mit seinem Alter umzugehen habe ich zum Schluss 10 Ideen zusammengefasst, mit denen man mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein und der richtigen Einstellung im Alter gewinnen kann. Und wie man zu seinem Alter stehen kann. Zum „Neuen“ 60.

  • Sein Alter gut finden.
  • Positive Vorstellungen vom Alter entwickeln.
  • Nicht andauernd vergleichen.
  • Seinen Körper schätzen und pflegen.
  • Widerspenstig gegen alle Konventionen sein.
  • Sich von überholten Klischees lösen.
  • Offen bleiben für Neues.    
  • Mit sich und anderen empathisch werden.
  • Akzeptieren, das man vieles nicht ändern kann.
  • Das Wort „noch“ aus seinem Sprachgebrauch verbannen.

[1] Bei Altersfragen gibt es sehr große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dieses Thema wird in diesem Beitrag nicht behandelt. Auch werden Themen wie Volkskrankheiten wegen schlechter Ernährung oder mangelnder Bewegung, Alzheimer oder Demenz nicht angesprochen.  

 

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Informationen über Einzelcoachings rund um berufliche Themen finden Sie unter www.peterlennartz.de sowie  www.unternehmensberatung-warnke.de