Work-Retirement-Balance anstatt Work-Life-Balance?

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Wie Arbeitgeber ältere Mitarbeiter länger im Unternehmen halten können

In den nächsten 10 Jahren werden rund 8,5 Millionen Erwerbstätige in Deutschland in den Ruhestand gehen. Damit werden bis zum Jahr 2033 etwa 20% der Erwerbstätigen aus dem Arbeitsmarkt verschwinden, was bereits heute große Lücken hinterlässt und zu einem immer härter werdenden Wettkampf um die verbleibenden Arbeitskräfte führt.

Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung mit immer attraktiveren Angeboten für junge Mitarbeiter, in deren Mittelpunkt das Thema Work-Life Balance steht. Neben der hochwertigen technischen Grundausstattung mit Labtop, Smartphone und Tablet, flexiblen Arbeitszeitmodellen, Homeoffice und Wellnessangeboten stehen dabei insbesondere Unternehmenskultur, Arbeitsatmosphäre und Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Vordergrund.  

Das eigene Unternehmen für junge Mitarbeiter attraktiv zu machen, sie zu rekrutieren, einzuarbeiten und zu integrieren erscheint den meisten Unternehmen heute noch alternativlos. Die höhere Fluktuation bedeutet allerdings auch höhere Kosten. Zumal die Bindung der jüngeren Mitarbeiter an die Unternehmen mit durchschnittlich 2-5 Jahren Betriebszugehörigkeit weiter nachlässt.  

Daher befassen sich Unternehmen zunehmend mit der Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer auch über ihren Eintritt in den Ruhestand hinaus im Unternehmen zu halten. Die wesentlichen Fragestellungen, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen, möchten wir im Folgenden beleuchten:

  1. Wollen zukünftige Ruheständler überhaupt weiterarbeiten?
  2. Welche Bedeutung hat Arbeit im Ruhestand?
  3. Unter welchen Bedingungen würden ältere Mitarbeiter gerne weiterarbeiten?
  4. Lohnt sich die Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeitern für Unternehmen?
  5. Welche Maßnahmen sollte der Arbeitgeber ergreifen, wenn er ältere Mitarbeiter weiter an sich binden möchte?

1. Wollen zukünftige Ruheständler überhaupt weiterarbeiten?

Nach der aktuellen lidA Studie der Bergische Universität Wuppertal kann sich eine große Mehrheit von 78% vorstellen, auch im Ruhestand in irgendeiner Form weiter zu arbeiten. Allerdings wünschen sich auch über 80% einen früheren Ausstieg. Wie passen diese offensichtlichen Gegensätze zusammen und welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen?

Die Gründe für den gewünschten früheren Ausstieg sind für einige Erwerbstätige die jahrelange anstrengende Arbeit sowie gesundheitliche oder seelische Gründe. Für diese Gruppe kommt eine Weiterbeschäftigung über den Ruhestand hinaus nicht in Frage.

Für eine andere Gruppe dagegen ist der Hauptgrund für den früheren Ausstieg die Furcht vor den letzten Jahren im Arbeitsleben, die von vielen als die schwierigsten Berufsjahre angesehen werden. Denn ab einem gewissen Alter beginnt jeder Beschäftigte über seine letzten Arbeitsjahre nachzudenken. Die Arbeitswelt verändert sich ständig. Jüngere Mitarbeiter werden befördert und ziehen an einem vorbei, werden sogar Vorgesetzte. Bei Weiterbildungsangeboten wird man übergangen. Innovationsfähigkeit wird nur den Jüngeren zugeschrieben. New Work klingt modern und – jung. Man fühlt sich nicht mehr gefordert und erhält keine motivierenden Perspektiven für die letzten Arbeitsjahre. Man erlebt auch in der Arbeitswelt eine Welt der täglichen Altersdiskriminierung. Ob gewollt oder auch ungewollte und unbewusst. Kurz gesagt – man beginnt sich zum „alten Eisen“ zu fühlen und kündigt innerlich. Dienst nach Vorschrift. Keine Überstunden. Unzufriedenheit. Lieber heute als morgen aufhören, wenn es nur ginge. Zeit bis zur Rente absitzen.

Den meisten Mitarbeitern aber war und ist ihre Arbeit sehr wichtig. Sie war ein wichtiger Teil ihres Lebens. Sie gab Sinn. Sie gab ihnen soziale Kontakte über ihren privaten Kreis hinaus. Arbeit gab ihnen eine Struktur. Arbeit gab ihnen Aufgaben, das Gefühl gebraucht zu werden. Viele haben sich sehr stark über ihren Beruf definiert und durch ihn einen gesellschaftlichen Status erlangt. Daher würde die Mehrheit der älteren Arbeitnehmer auch nach der Pensionierung gerne weiterarbeiten.

Für Arbeitgeber ergibt sich daraus die Chance, ältere Beschäftigte auch im Ruhestand zu halten, wenn sie die letzten Jahre im Job positiver gestalten können. Schaut man auf die Bedingungen, unter denen die älteren Beschäftigten bereit wären, weiterzuarbeiten, trifft man auf viele Punkte, die sich mit den Wünschen der jüngeren Mitarbeiter decken: Selbstbestimmung, flexible Arbeitszeiten, höhere Wertschätzung, Anerkennung, entsprechende Vergütung, interessante Arbeit, Weiterbildung.

2. Welche Bedeutung hat Arbeit im Ruhestand?

Bei allen zukünftigen Ruheständlern bedeutet das Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit das Ende der längsten Lebensphase und den wahrscheinlich größten Umbruch im Leben. Vergleichbar nur mit Einschulung, dem Ende der Ausbildung oder des Studiums bzw. dem Berufsstart, Hochzeit, Geburt oder dem Tod von sehr wichtigen Menschen.

Am Ende ihrer beruflich geprägten Lebensphase steht für sie einerseits das Gefühl von beginnender Autonomie und Selbstbestimmung. Aber viele denken auch daran, was sie mit der Arbeit verlieren werden. Liebgewonnene Gewohnheiten, Strukturen und Routinen. Soziale Kontakte zu Kollegen. Anerkennung, Wertschätzung und Erfolgserlebnisse. Und üblicherweise auch den Verlust von Einkommen und Lebensstandard.

Die jetzt in Rente gehende Generation ist im Durchschnitt die wohl gesündeste älter werdenden Generation mit einer weiteren Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren. Viele haben mit 60+ eine eher jugendliche Denkweise, sind sehr aktiv, neugierig, aufgeschlossen und sind auch im Alter noch sehr leistungsfähig. Der Ruhestand, wie er heute von älteren Erwachsenen definiert wird, ist daher nicht mehr 24/7 eine Zeit für Ruhe und Entspannung. Stattdessen wird er jetzt als ein neues Kapitel im Leben angesehen.

Die Pensionierung ist daher längst nicht mehr gleichbedeutend mit dem Ende der Arbeit.

Let’s check what we should to pack

3. Unter welchen Bedingungen würden ältere Mitarbeiter gerne weiterarbeiten?

Nach der bereits angesprochenen Lida-Kohortenstudie geht es den Ruheständlern in erster Linie um flexible Arbeitszeitmodelle. Was sie damit nicht von den jüngeren Mitarbeitern unterscheidet, um die aktuell zwischen den Arbeitgebern Kämpfe ausgetragen werden.

Interessant sind dazu Modelle eines gleitenden bzw. schrittweisen Überganges in den Ruhestand. Also die Reduzierung der Arbeitszeit in den letzten Jahren der regulären Berufstätigkeit bei gleichzeitiger Vereinbarung von flexibler Arbeitszeit nach dem Renteneintritt. Die führt dazu, dass der Ruhestand sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich strukturiert und geordnet stattfinden kann und das Thema Work-Life Balance auch im Ruhestand ausreichend Berücksichtigung findet.

Daneben wünschen die Babyboomer eine attraktive Vergütung, eine angenehme Arbeitsatmosphäre, gute technische Ausstattung, Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Wellnessangebote sowie Zusatzleistungen in die Rentenversicherung, um die Höhe der zukünftigen Rente stabil zu halten. 

Unter Umständen möchten einzelne Mitarbeiter in diesem Zusammenhang auch von der Gelegenheit einer Bogenkarriere Gebrauch machen. Die Idee der Bogenkarriere ist die freiwillige Reduzierung der Arbeitsleistung bis zur Pensionierung und/oder der gleichzeitige Rücktritt von einer Führungsposition und Wechsel in eine andere Funktion, z.B. als Spezialist oder in einer Coaching- oder Trainingsfunktion. Vorteil neben der geringeren Arbeitsbelastung und dem geringeren Stress in der Führungsposition ist gleichzeitig die Möglichkeit für jüngere Kollegen schneller in Führungspositionen aufzusteigen.

4. Lohnt sich die Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeitern für Unternehmen?

Um eine genaue Berechnung durchzuführen, ob sich die Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeitern auch nach deren Renteneintritt sich für das Unternehmen finanziell lohnt, muss man viele Faktoren in Betracht ziehen und deren Kosten und Nutzen gegenüberstellen. Eine pauschale Antwort auf diese Frage ist nicht möglich, da sie von vielen individuellen Umständen abhängt, insbesondere von der Branche und der Altersstruktur der Mitarbeiter im Unternehmen.

Allgemeine Faktoren, die für eine Weiterbeschäftigung sprechen:

  1. Wichtiges Know-how bleibt dem Unternehmen zunächst erhalten und kann über einen längeren Zeitraum an die nächste Generation weitergegeben werden
  2. Weniger Aufwand für Recruiting, wenn weniger Stellen neu besetzt werden müssen
  3. Weniger Zusatzaufwand für externe Dienstleister, wenn Aufgaben durch den eigenen Mitarbeiterstamm erledigt werden können
  4. Weniger Aufwand durch die zusätzliche Einarbeitung neuer Kollegen
  5. Abhängig von der Auftragslage und der Branche können Aufträge weiterhin angenommen werden anstatt sie wegen Mangel an Arbeitskräften abzusagen
  6. Größere zeitliche Flexibilität und keine Work-Life-Balance Probleme der Boomer Generation
  7. Höhere Loyalität, Identifikation und Dankbarkeit für die Gelegenheit weiterhin im Unternehmen beschäftigt zu sein und das Gefühl zu bekommen, gebraucht zu werden.
  8. Mentoring und Weiterentwicklung von jungen Talenten im Unternehmen
  9. Mehr Lebenserfahrung und soziale Kompetenz
  10. Kein Stress durch Karrieredruck, mehr Ruhe und Gelassenheit
  11. Qualität und Zuverlässigkeit

Allgemeine Faktoren die gegen eine Weiterbeschäftigung sprechen:

  1. Höhere Kosten durch höheren Organisationsaufwand bei flexiblen Arbeitszeitmodellen
  2. Höhere Gehaltskosten der älteren Mitarbeiter
  3. Höhere Kosten durch Zusatzleistungen, z.B. zusätzliche Zahlungen an die Rentenkasse
  4. Höhere Verwaltungskosten, z.B. durch neue Themen in der Personalabrechnung
  5. Körperlich anstrengende Tätigkeiten sind älteren Beschäftigten nicht zuzumuten
  6. Karrierewege werden verstopft
  7. Image der Firma könnte beschädigt werden 

Widerlegte Vorurteile über ältere Beschäftigte:

  1. Geringe Leistungsfähigkeit – Weder Arbeitstempo, Produktivität oder Kreativität sind bei älteren Mitarbeitenden grundsätzlich anders als bei jüngeren. Zur Wahrheit gehört allerdings, dass die Fähigkeit, Informationen schnell zu verarbeiten und schnell zu reagieren im Alter abnimmt und dass die Energie im Alter nicht mit der Energie der Jugendjahre vergleichbar ist.    
  2. Unflexibel und technologiefeindlich – Älteren Mitarbeitenden wird oft nachgesagt, sie seien unflexibel und nicht bereit neues zu lernen. Studien zufolge ist die Bereitschaft zu Veränderungen bei älteren Mitarbeitenden sogar höher als bei 18- bis 35- jährigen.  Und immerhin besitzen 96% der 55- bis 75- jährigen ein Smartphone, 83% von ihnen benutzen WhatsApp und auch auf Facebook und Instagram sind erstaunlich viele unterwegs.
  3. Hohe KrankheitsrateÄltere Mitarbeiter werden nicht öfter krank als jüngere. Allerdings erholt sich der Körper im Alter langsamer von einer Krankheit. Daher sind ältere Mitarbeiter in der Regel etwas länger krankgeschrieben. Es ist für Arbeitgeber also umso wichtiger, diese Mitarbeitenden lebensphasengerecht in altersgerechten Arbeitsmodellen einzusetzen.     
  4. Geringe MotivationDieses Vorurteil basiert auf der Annahme, dass ältere Mitarbeitende den Großteil ihres Arbeitslebens bereits hinter sich haben und daher nicht besonders stark motiviert sind, sich für die Vision und Mission des Arbeitsgebers einzusetzen. Insbesondere aber im Ruhestand sind berufliche Tätigkeiten eher wie „die Kirsche auf der Torte“ zu betrachten – wenn man nicht aus rein finanziellen Gründen gezwungen ist, weiterhin zu arbeiten.

5. Welche Maßnahmen sollte der Arbeitgeber ergreifen, wenn er ältere Mitarbeiter weiter an sich binden möchte?

Möchte man Babyboomer länger an das Unternehmen binden, gibt es viele Möglichkeiten ihnen eine motivierende Beschäftigung bis zum Eintritt in die Rente du darüber hinaus zu bieten. Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang immer wieder angesprochen werden:

  1. Als Führungskraft rechtzeitig das Gespräch suchen, um die Zeit bis zum Ruhestand offen zu besprechen und gemeinsam zu gestalten
  2. Die Idee einer weiteren Beschäftigung auch im Ruhestand rechtzeitig besprechen
  3. Veränderung ermöglichen, z.B. flexibel Arbeitszeiten und -orte
  4. Führung mit viel Dialog und Informationen, um die Motivation aufrecht zu erhalten
  5. Respektvoller Umgang und Wertschätzung
  6. Fachliche und persönliche Weiterbildungsangebote bis zum leztzten Tag
  7. Sinn und Purpose der Tätigkeit ansprechen
  8. Keinen Wettlauf zwischen den Generatinen
  9. Arbeitsfähigkeit bis zur Rente erhalten, altersgerechte Tätigkeiten und gesundheitliche Vorsorge
  10. Sinnvolle Gestaltung der Aufgaben und Karriereaspekte anbieten
  11. Neue Aufgaben anbieten, z.B. als Mentor oder Trainer für jüngere Mitarbeiter
  12. Neue Aufgabengebiete oder neue Projekte
  13. Möglichkeit der Bogenkarriere ansprechen


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